Richard David Precht auf der Think Frankfurt

Die Think ist eine der größten, weltweiten Veranstaltungsreihen von IBM, die – ich müsste schätzen – seit mindestens 10 Jahren jedes Jahr in den wichtigsten Metropolen der Welt stattfindet – ob Las Vegas, New York oder eben Frankfurt.

Ich habe dieses Jahr zum ersten Mal die Think in Frankfurt besucht und will nun versuchen, meine Eindrücke, die ich dort gesammelt habe, hier im Blog für euch mal zusammenzutragen.

Inspirierende Persönlichkeiten

Das Besondere an der Think ist, dass hier einige durchaus interessante Redner auf der Bühne stehen und nicht einfach nur Produkte und Lösungen vorstellen, sondern von Visionen und Ideen reden, von Erfahrungen und möglichen Zukunftsszenarien: Denker und Philosophen wie Richard David Precht, echte „Nerds“ wie Dr. Christian Karrasch, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter und fachlicher Leiter für die ISS-Nutzung im DLR-Raumfahrtmanagement arbeitet (jep, das ist tatsächlich so cool wie es klingt), oder Koryphäen wie den IBM Principal und Quantum Computing Ambassador Dr. Mark Mattingly-Scott – solche Persönlichkeiten einmal live zu erleben erweitert den eigenen Horizont ungemein. Genau deshalb war ich auf der Think.

Die größte Revolution der Menschheit

Precht war vermutlich für die meisten Gäste am Dienstag einer der interessantesten Speaker auf der Think-Bühne. Darüber zu philosophieren, wohin wir uns in den kommenden Jahren und Jahrzehnten womöglich entwickeln werden und welche Faktoren diese Entwicklung beeinflussen können, würde den Rahmen einer solchen Veranstaltung freilich bei weitem sprengen. Aber Precht hat Übung darin, die wichtigsten Kernaussagen und „Hirnanschubser“ auch in einem 45-Minuten-Vortrag unterzubringen.

„Wir erleben gerade einen der größten Umbrüche der letzten 200 Jahre.“

Das ist für Precht bereits eine unumstößliche Tatsache.  Solche Umbrüche hat es in der Geschichte schon mehrfach gegeben. Die letzte große Veränderung haben wir zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der industriellen Revolution erlebt. Auch damals hatten die Menschen Angst, durch Maschinen ersetzt zu werden und ihre Arbeit zu verlieren. Das Gegenteil war der Fall: Die Industrialisierung hat viel mehr neue Arbeitsplätze geschaffen, als sie vernichtet hat. Und sie hat die gesellschaftlichen Strukturen verändert – größtenteils zum Besseren.

Mehr Wohlstand, weniger Arbeit

Dass auch die digitale Revolution mehr Arbeitsplätze schaffen wird, das glaubt Precht allerdings nicht. Im Gegenteil: Laut seinen Prognosen (und die zahlreicher anderer Experten) wird die Digitalisierung tatsächlich sogar zahlreiche Arbeitsplätze vernichten. Precht ist aber überzeugt, dass es uns trotzdem gut gehen wird und wir mehr Wohlstand erreichen werden. Oder besser gesagt: KI und Automation werden künftig diesen Wohlstand für uns erwirtschaften. Eine 40-Stunden-Woche, wie sie heute noch üblich ist, wird es in Zukunft nicht mehr geben (im Zeitalter der Industrialisierung waren noch 60+-Stunden-Wochen die Norm …). Das heißt also mit anderen Worten: Weniger arbeiten für mehr Lebensqualität.  

Klingt gut, wo ist der Haken? Ok, da wäre noch das Problem mit Einkommen und Sozialabgaben. Precht schlägt ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle vor. Dass Maschinen künftig Steuern zahlen, lehnt er ab.  Ohnehin findet er es bescheuert, dass man Arbeitsleistung besteuert. Vielmehr schlägt er eine Finanztransaktionssteuer vor, um das Geld dort abzugreifen, wo es fließt (und wo es ehrlich gesagt auch am wenigsten weh tut). Mir ist der Mann sympathisch …

Precht malt ein Zukunftsbild, das nachdenklich aber auch optimistisch stimmt: Harte, körperliche Arbeit, Routinejobs und Fließbandarbeiten – also all das, was schon heute keiner wirklich gerne macht – wird künftig von Maschinen übernommen, die das ohnehin wesentlich effizienter können als wir. Der Mensch wird trotzdem nicht untätig rumsitzen – dafür sind wir auch gar nicht geschaffen. Wir müssen und wir wollen ja etwas tun. Und so wird die zusätzlich gewonnene Freizeit neue, kreative Energien freisetzen, wenn wir endlich das tun können, was uns persönlich interessiert.

KI – die etwas andere Intelligenz

Außerdem wird man auch in Zukunft noch den menschlichen Verstand brauchen. KI ist eine spezielle Form von Intelligenz und nicht mit der menschlichen Intelligenz gleichzusetzen. Laut Precht unterscheiden wir uns von der KI vor allem in vier Punkten:

  1. Unsere Gefühle! Sie bestimmen maßgeblich unser Handeln und unsere Entscheidungen. „Im Grunde ist unser Verstand nichts anderes als eine große, ausgeklügelte Marketingabteilung, die uns nachträglich die Rechtfertigung für Entscheidungen liefert, die unsere Gefühle im Vorfeld bereits getroffen haben.“ so Precht.
  2. Menschen haben ein Ich. Unser Ich ist sogar älter als unsere Intelligenz. Das eigene Bewusstsein und der Wille, zu überleben, das sind Relikte aus der Steinzeit, lange bevor wir angefangen haben zu denken. Und dieses Ich hat zur Folge, dass wir uns selbst als Verursacher unserer Taten empfinden. Eine KI ist sich zu keinem Zeitpunkt „bewusst“, was sie tut. Sie folgt nur ihrem Algorithmus.
  3. Wir sind moralfähig. Wir haben ein Gewissen. Die Frage über Gut und Böse, Richtig oder Falsch würde sich einer KI nie stellen …
  4. Menschen leben nicht gerne in der Realität. Es fällt uns im Gegenteil sogar schwer, unsere Gedanken über einen längeren Zeitraum auf das Hier und jetzt zu konzentrieren. Die meiste Zeit des Tages grübeln wird über Geschehnisse der Vergangenheit, denken über die Zukunft nach, wir abstrahieren und phantasieren, … auch das würde eine KI nie tun.

Autonomes Fahren als Riesenchance

An den richtigen Stellen eingesetzt kann und wird KI sogar ein Segen für die Menschheit werden. Etwa im Straßenverkehr. Precht ist ein großer Verfechter des Autonomen Fahrens: „Unsere Enkel werden es sich schon gar nicht mehr vorstellen können, wie wir allen Ernstes unsere Städte und Straßen mit lauten, stinkenden und gefährlichen Autos teilen konnten.“ 3.000 Verkehrsunfälle pro Tag findet auch er eindeutig zu viel.

Und greift auch gleich eine oft gestellte Frage auf, die vor allem Kritiker des Autonomen Fahrens gerne in den Raum werfen: „Was, wenn das Fahrzeug entscheiden muss, ob es die Oma oder das kleine Kind überfährt.“. Kennt man ja, solche Gedankenspiele. Precht kontert mit einer Gegenfrage: „Ist irgendjemand von Ihnen jemals in eine auch nur annähernd vergleichbare Situation geraten, in der er eine solche Entscheidung hätte treffen müssen?“ Nein. Im Grunde stellt sich die Frage schon alleine deshalb nicht, weil die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios gegen Null geht.

Precht macht klar: „Man kann Maschinen nicht moralisch programmieren.“ Stattdessen wird ein ganz anderes Problem auf uns zukommen: Wenn die Fahrzeuge so programmiert sind, dass sie einen Menschen im Grunde nicht mehr überfahren können (die Fußgänger und Radfahrer im Umkreis werden ja schon weit im Voraus durch Kameras und Radarsysteme erfasst), dann werden die Menschen ziemlich schnell ihre Angst und damit auch ihren Respekt vor Fahrzeugen verlieren. Sprich: Du kannst dich völlig gefahrlos mitten auf die Fahrbahn stellen und damit den kompletten Verkehr zum Erliegen bringen. Und damit genau das nicht passiert, werden wir uns kreative Lösungen einfallen lassen müssen.

Die Antwort auf alle Fragen … gibt es nicht

„Das Problem von uns Menschen ist, dass wir glauben, über das Schema von Problem und Lösung alle Fragen des Lebens beantworten zu können“

erläutert Precht. „Aber das ist ein Irrtum!“ Die Herausforderung der Zukunft lautet deshalb: Wir müssen entscheiden, wo und in welchen Bereichen der Einsatz von KI und künstlicher Logik sinnvoll ist, und dieser Bereich muss klar abgesteckt sein. Der Umgang mit KI ist eine dynamische Entwicklung, die wir werden diskutieren müssen. „Menschen haben ein Fiktionsbedürfnis“ so Precht. Wir wollen uns vorstellen können, wo es hingeht. Das bedeutet, „wir benötigen für die Zukunft kluge, kreative Ideen, um KI und Technologien in den Dienst der Menschen zu stellen.“ Oder anders ausgedrückt: Das Denken wird uns auch in Zukunft nicht abgenommen. Im Gegenteil: Wir werden (wahrscheinlich) noch klüger als wir es heute schon sind.

(Ich hab da grad so ’ne Sience-Fiction-Szene in meinem Kopf  … von Zukunftsmenschen mit riesigen Köpfen …) 👽 😱

 

Fortsetzung: Begegnung mit CIMON