Ich habe vor einigen Tagen ja bereits über meinen Besuch auf der Think in Frankfurt Anfang Oktober berichtet und welche Vision Richard David Precht von unserer digitalen Zukunft gezeichnet hat. Aber Prechts Vortrag war natürlich beileibe nicht das einzige, was ich von diesem Tag mitgenommen habe. Gleich der zweite Punkt auf der Agenda war die Vorstellung eines Raumfahrtassistenten namens „CIMON“ …
Das sympathischste an CIMON?
Ganz ehrlich? Seine Entwickler! Dr. Christian Karrasch, der als Wissenschaftlicher Mitarbeiter und fachlicher Leiter für die ISS-Nutzung im DLR Raumfahrtmanagement maßgeblich für die Entwicklung von CIMON zuständig ist, und sein Projektpartner Matthias Biniok, der als Lead Watson Architekt bei IBM für CIMONs Intelligenz sorgt, traten bei Ihrer Präsentation auf der Think so wunderbar „normal“ und bodenständig auf wie zwei nette Jungs aus der Nachbarschaft. Man merkte, dass die beiden normalerweise (und viel lieber) gemeinsam im Labor an neuen Ideen tüfteln, anstatt auf einer Bühne zu stehen. Aber nichts desto trotz wollten sie der Welt natürlich unbedingt zeigen, was für eine bahnbrechende Entwicklung ihnen mit CIMON gelungen ist. Dabei versprühten sie eine liebenswerte Mischung aus Nervosität, Stolz und Begeisterung, die herrlich ansteckend auf das anwesende Publikum wirkte.
Auf ihre auch äußerliche Ähnlichkeit angesprochen (beide relativ jung, geschätzt um die 30, beide mit Brille und Bart) gaben sie zu, dass sie über das gemeinsame Projekt hinaus mittlerweile auch privat befreundet sind. Und das merkte man auch.
Traumjob? Magie? Oder beides?
Hier ist genau das passiert, was man sich eigentlich überall im Business wünschen würde: Junge, kreative und kluge Köpfe, Visionäre und Pioniere, die noch „unverdorben“ und begeisterungsfähig sind, die sich nicht von „zu teuer, zu kompliziert, geht nicht, bringt nichts“-Prognosen abschrecken lassen, sondern sich einfach zusammensetzen und (vermutlich) bei Pizza und Bier über gemeinsame Ideen fantasieren und wie sich diese in die Tat umsetzen lassen. Und wenn Ihnen dann noch das notwendige Vertrauen, Budget und „freie Hand“ zur Verfügung gestellt wird und sich die ganzen bürokratischen Hürden und Hierarchien typischer globaler Konzerne mal ein wenig zurückhalten und die beiden Jungs einfach mal machen lassen – dann kann da auch richtig was mit Hand und Fuß bei rauskommen.
Oder in diesem Fall eher OHNE Hand und Fuß – denn CIMON besteht lediglich aus einem Kopf. Aber wie bei den meisten Menschen auch ist dieses wichtigste Körperteil eigentlich völlig ausreichend.
Warum CIMON entwickelt wurde
Raumfahrt-Missionen stellen bis heute eine große physische wie psychische Herausforderung für den Menschen dar – ob der durch Schwerelosigkeit und Bewegungsmangel begünstigte Muskelabbau, die Bewältigung von Arbeitsabläufen in der Schwerelosigkeit oder die monatelange Isolation und räumliche Enge an Bord einer solchen Raumstation. Deshalb hatte Airbus 2014 die Idee für einen elektronischen Assistenten für die Raumfahrt. Dieser sollte als virtueller Ansprechpartner für die Astronauten fungieren und beispielsweise mittels Sprachsteuerung die Navigation der Instrumente an Bord erleichtern, das Training der Astronauten unterstützen oder den Aufruf von Tutorials, Handbüchern und technischen Zeichnungen ermöglichen. Aus dieser Idee entstand schließlich CIMON, der „Crew Interactive MObile CompanioN“.
CIMON kann sehen, hören, verstehen, sprechen – und fliegen. Er ist rund, hat einen Durchmesser von 32 Zentimetern und wiegt ziemlich genau fünf Kilogramm. Sein robotisches Vorbild war übrigens Professor Simon Wright, das „fliegende Gehirn“ aus der in den 1980er Jahren sehr beliebten Zeichentrickserie „Captain Future“, der in der Serie mit Sensoren, Kameras und einem Sprachprozessor ausgestattet war. Fast 40 Jahre später ist jetzt mit dem astronautischen Flugbegleiter und Assistenzsystem CIMON aus Science-Fiction tatsächlich „Science-Fact“ geworden.
CIMON reagiert auf Stimmen und kann sich mit Hilfe von 14 Ventilatoren auch in der Schwerelosigkeit autonom bewegen. Noch im November 2018 soll CIMON erstmals als Assistent auf der ISS eingesetzt werden. Er soll als Motivationstrainer, Therapeut, Ansprechpartner, Sportlehrer und technischer Assistent agieren. Als solcher könnte er auch auf der Erde in zahlreichen Bereichen Einsatz finden – etwa in der Pflege.
Klüger als Alexa oder Siri
CIMON verfügt über eine intelligente Gesichts- und Objekterkennung und ist definitiv „klüger als Alexa oder Siri“, wie seine beiden Entwickler stolz versichern. Sein Gesicht ist ein Monitor, auf dem je nach Bedarf CIMONs Mimik, Filme, Text oder interaktive Inhalte angezeigt werden können. Auf der Rückseite befindet sich – einfach erreichbar – ein Knopf, mit dem CIMON jederzeit offline geschaltet werden kann, etwa wenn die Astronauten ihre Privatsphäre haben wollen.
Funfact: Simon kann sogar seinen Kopf schütteln oder nicken.
Solange CIMON eingeschaltet ist, unterhält er eine permanente Verbindung zur Basis auf der Erde. Die Verbindung erfolgt dabei von der ISS über einen Satelliten der NASA und einen Kontenpunkt in Luzern bis zum IBM Rechenzentrum in Frankfurt. Bei ersten Versuchen lag die Latenzzeit – und damit die Reaktionsverzögerung von CIMONs Antworten – bei acht Sekunden. Das war natürlich entschieden zu lang. Mittlerweile ist es dem Team gelungen, die Latenzen auf zwei Sekunden zu reduzieren, was durchaus akzeptabel ist (immerhin kreist die ISS in einer Höhe von rund 400km über uns hinweg).
CIMON ist bereits so weit entwickelt, dass er „Expression“, also Ausdruck in seine Stimme legen kann und damit authentischer und menschlicher klingt. Eine Emotionsanalyse über IBM Watson ermöglicht seiner KI zudem, auch Gefühlsregungen in der Stimme seines Gegenübers zu erkennen. Alexander Gerst hat sich einer solchen Emotionsanalyse allerdings verwehrt – er will seine Gefühle lieber für sich behalten. Stattdessen soll CIMON mit einem anderen Astronauten trainiert werden.
CIMON wurde in einer Rekordzeit von nicht einmal vier Jahren entwickelt. Die ersten Ideen wurden 2014 zu Papier gebracht, Projektbeginn war 2015, drei Jahre später geht CIMON nun bereits in die Pilotphase und auch erstmals mit an Bord der ISS. Aktuell lassen die Entwickler CIMONS Software von Hackern in Italien auf Herz und Nieren prüfen um etwaige Sicherheitslücken auszuschließen.
Die Kraft der kleinen Wege
Es waren vor allem die flachen Hierarchien, die kleinen Teams und die direkten Kommunikationswege, die den Entwicklungsprozess deutlich beschleunigt, wenn nicht überhaupt erst ermöglicht haben. Karrasch und Biniok haben sehr agil in Sprints von zwei, drei Wochen Länge an CIMONs Entwicklung gearbeitet und sich vorzugsweise persönlich getroffen – trotz der räumlichen Entfernung, die die beiden normalerweise trennt (Karrasch arbeitet in Köln, Biniok in Frankfurt).
Das ist letztlich auch die wesentliche Aussage, die ich an diesem Tag mit nach Hause genommen habe: So faszinierend CIMONs Fähigkeiten und Einsatzmöglichkeiten auch sind, aber vor allem von seinen Entwicklern können wir eine ganze Menge lernen. Eine Idee zu haben, eine Vision davon, wo es hingehen soll, ist schon mal ein guter Anfang. Aber es braucht vor allem Raum statt Regularien, um diese Vision dann auch umsetzen zu können. Es braucht eben genau diese kleinen Teams, die noch ganz nah und ganz persönlich einfach miteinander sprechen. Über ihre Ideen, über die Herausforderungen und wie man sie lösen kann. Keine Kommunikationsplattform der Welt kann diese persönliche und direkte Zusammenarbeit ersetzen.
In vielen Firmen findet hier bereits ein Umdenken statt, werden zunehmend kleine, agile DevOps-Teams etabliert. Und ich bin zugegeben ja schon ein bisschen stolz darauf, dass diese Art von „Kommunikations- und Innovationskultur“ auch bei uns in der Firma schon lange gelebt wird.