Vogelbaby-Rettung

Wir haben das große Privileg, dass wir mitten im Schönbuch direkt neben einer großen Streuobstwiese arbeiten und jeden Tag den Blick ins Grüne genießen dürfen. Um die Lage und die Aussicht hier haben uns schon viele beneidet. Auf unserem Grundstück stehen denn auch ein paar schöne, alte Apfel- und Birnenbäume, die Heimat zahlreicher Vögel sind. Zugegeben, es hat durchaus etwas Meditatives, während der Arbeit gelegentlich den Blick aus dem Fenster schweifen zu lassen und den kleinen Piepmätzen bei der Futtersuche und der Aufzucht ihrer Sprösslinge zuzusehen. Ab dem Frühsommer, wenn die Jungen geschlüpft sind, sieht man permanent die Elterntiere in das große Astloch am alten Birnbaum ein- und ausfliegen. Und auf der anderen Seite hat eine Spatzenfamilie ihr Nest zwischen den Zweigen des Apfelbaums gebaut.

Der Holzgerlinger Neststurz

Leider kommt es bisweilen vor, dass so ein Jungvogel bei seinen ersten Flugversuchen eine Bruchlandung auf dem Rasen abliefert – oder aus anderen Gründen unfreiwillig sein Nest verlässt. Einen solchen „Bruchpiloten“ haben wir heute auf dem Rasen vor unserem Fenster aufgefunden:

Um den kleinen Kerl vor unserem Mähroboter (genannt „Shaun“) in Sicherheit zu bringen, haben ein paar Kollegen eine sofortige Rettungsaktion gestartet. Das Ergebnis war ein kreatives „Fort Knox“ aus Karton und Steinen:

Damit war dem Kerlchen freilich aber noch nicht wirklich geholfen – er musste ja zurück ins Nest. Nur dass sich keiner getraut hat, ihn mit den Händen anzufassen – aus Angst, dass seine Eltern ihn dann nicht mehr annehmen.

Vogel retten. #AberRichtig.

Das führte schließlich zu einer Diskussion darüber, ob man Jungvögel denn nun anfassen darf oder nicht. Google half weiter (und der Rat einer befreundeten Tierärztin):
Ja, man darf! Man soll sogar! Wenn man weiß, wo das Nest ist (meist in unmittelbarer Nähe, weil so ein flugunfähiges Küken ja noch nicht weit kommt), dann tut man dem Tierchen den größten Gefallen, wenn man es einfach behutsam in sein Nest zurücksetzt. Ist das nicht möglich, oder das Jungtier verletzt, dann sollte man es zu einem Tierarzt in der Nähe bringen. Die meisten Tierärzte arbeiten mit Vogelstationen zusammen, die sich um die Aufzucht und Pflege der gefiederten Patienten kümmern. Überdies müssen Tierfreunde sich nicht vor den Tierarztkosten fürchten – diese werden in aller Regel von der Wildtierhilfe übernommen (auch wenn z.B. die eigene Katze einen noch lebenden Vogel angeschleppt hat – ich spreche da aus eigener Erfahrung…).

Aber was ist mit den Vogeleltern, wenn das Jungtier nach „Mensch“ riecht?

Um ehrlich zu sein, ist das ein weit verbreiteter Irrtum bzw. genauer gesagt eine Verwechslung: Die Regel „Nicht anfassen!“ gilt in erster Linie für Jungtiere von Säugetieren – also Rehkitz, Hasenbaby und Co. Im Gegensatz zu Säugetieren spielt der Geruchssinn bei Vögeln eine eher untergeordnete Rolle – das Vogelbaby riecht also auch nach einer Rettungsaktion nicht „nach Mensch“ und wird im Normalfall von den Elterntieren problemlos wieder angenommen. Im Gegenteil: Selbst fremde Vogelbabys werden tapfer mitgefüttert – diese Eigenschaft hat sich ja schon der Kuckuck zunutze gemacht, der den eigenen Nachwuchs von fremden Vogeleltern aufziehen lässt.

Wer es genauer wissen will, kann auch hier nachlesen: http://www.wildvogel-auffangstation-nonnenhof.de/Erste-Hilfe/erste-hilfe.html

Unser kleiner Findling wurde jedenfalls mit vereinten Kräften und Kletterkünsten wieder in den Baum zurückgesetzt und wir konnten mit unserem frisch erworbenen Wissen über Vögel wieder zurück an die Arbeit.